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Die Entstehung des Rorschach-Verfahrens
Geschichtliches:
Die ältesten Hinweise auf eine systematische Beschäftigung mit Klecksbildern stammen von Leonardo da Vinci (1452–1519). In seinem »Buch von der Malerei« (deutsch erschienen in Wien 1882) schlägt er den Künstler:innen vor, sich gelegentlich von zufälligen Flecken inspirieren zu lassen, da man dadurch zu verschiedenen Kompositionen angeregt werde. Durch »verworrene und unbestimmte Dinge« werde »der Geist zu neuen Erfindungen wach« (vgl. Bohm, 1967). Da Vinci wiederum führt aus, dass diese Anregung eigentlich von Botticelli (1440–1510) stamme.
Vor 1900 experimentierten schließlich verschiedene Psycholog:innen mit Tintenklecksgebilden und versuchten, diese für psychologische Untersuchungen einzusetzen. So wurde z. B. Justinus Kerner (deutscher Dichter, Arzt und medizinischer Schriftsteller, 1786–1862) darauf aufmerksam, wie verschieden Tintenkleckse wahrgenommen werden können. Sein wachsendes Interesse und die von ihm entwickelten Klecksographien beschrieb er 1857 im sog. »Hadesbuch«. Die Möglichkeiten einer Persönlichkeitsdiagnostik erfasste er noch nicht, sondern lenkte seinen Fokus auf die Wechselwirkung zwischen dem objektiven Material und den projektiven Antworten der Proband:innen. 1895 machte Alfred Binet (französischer Pädagoge und Psychologe, 1857–1911) den Vorschlag, Klecksgebilde zur Prüfung der visuellen Vorstellungsfähigkeit anzuwenden. Etwa 1 Jahr später veröffentlichte George V. Dearborn eine Arbeit, in der er farbige und schwarz-weiße Tintenkleckse für verschiedene Anwendungsmöglichkeiten in der experimentellen Psychologie vorschlug.
Die Bemühungen, aus Tintenklecksbildern einen diagnostischen Nutzen zu ziehen, wurden nach der Jahrhundertwende fortgesetzt: So meinte etwa E. A. Kirkpatrick hinsichtlich der Qualität der Antworten das Alter von Jugendlichen feststellen zu können, während W. H. Pyle den Assoziationsverlauf von Kindern anhand der Klecksmuster prüfte. Im Jahr 1914 wurden von G. M. Whipple die ersten standardisierten Reihen von Klecksbildern veröffentlicht. Er schrieb einen Überblick über die bis zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Arbeiten von experimentierenden Forscher:innen. Sein Handbuch macht deutlich, dass bisher andere Schwerpunkte verfolgt wurden als jene, die später H. Rorschach entwickelte. Möglichen Beziehungen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Antworten der Proband:innen wurde nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. C. J. Parsons untersuchte 1917 mit den standardisierten Reihen von Whipple 97 Kinder und konnte neben einem hohen Anteil von Tier- und Menschenantworten geschlechtsspezifische und altersabhängige Unterschiede feststellen. Sein Ziel war das Erfassen des Vorstellungsgeschehens, er machte jedoch auch darauf aufmerksam, dass anhand seiner Ergebnisse signifikante interindividuelle Unterschiede festgestellt werden können.
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Entwicklung des Rorschach-Verfahrens in Europa und den USA:
Das Rorschach-Verfahren fand in Europa und in den Vereinigten Staaten weite Verbreitung. Während sich in den USA ein eher systematisch strukturierter Ansatz der Rorschach-Auswertung entwickelte, wurden in Europa die von den Proband:innen gedeuteten Inhalte eher subjektiv interpretiert, wobei vor allem psychoanalytische und psychodynamische Theorien im Vordergrund standen.
Nachdem das Verfahren bei der Veröffentlichung noch nicht vollständig war, kamen viele Details und Regeln erst später hinzu (z.B. Schattierungen, achromatische Farben, Inquiry, etc.). Rorschach selbst konnte diese Determinanten nicht mehr spezifizieren, weshalb sich nach seinem Tod im Laufe der Jahre zahlreiche verschiedene Auswertungssysteme entwickelt haben.
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EUROPA: Ewald Bohm
In Europa bemühte sich Ewald Bohm (1903–1980), ein dänisch-schweizerischer Psychologe, um eine Integration der verschiedenen Ansätze. Er fasste die Beiträge anerkannter Wissenschaftler:innen zur Rorschach Diagnostik zusammen und entwickelte deren Ansätze weiter. Seine Werke »Lehrbuch der Rorschach Psychodiagnostik« (1. Auflage 1958) und »Psychodiagnostisches Vademecum« (3. Auflage 1975) haben die Rorschach-Diagnostik im deutschen Sprachraum maßgeblich beeinflusst und stehen bis heute in Verwendung.
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USA: John E. Exner mit dem Comprehensive System
In den USA begann Exner in den 60er Jahren, die fünf in den USA meist verbreiteten Auswertesysteme hinsichtlich wissenschaftlich fundierter Komponenten zu einem einzigen standardisierten Vorgabe-, Auswertungs- und Interpretationssystem zu integrieren. Hierbei wurden die Arbeiten von Samuel Beck, Bruno Klopfer, Marguerite Hertz, Zygmunt Piotrowski und David Rapaport herangezogen.
Ursprünglich wollte Exner lediglich eine Arbeit über die Unterschiede zwischen Becks und Klopfers System schreiben. Die unterschiedlichen Sichtweisen und Disharmonien zwischen Beck und Klopfer legten somit den Grundstein für die Entstehung des »Comprehensive System«.
Exner initiierte eine Vielzahl an Studien und begann, einen großen Datenpool für Gesunde und psychiatrische Patient:innen anzulegen. Das Comprehensive System stellt den ersten empirischen Ansatz für den Rorschachtest dar. In den folgenden Jahrzehnten wurde das System durch die Zusammenarbeit vieler Wissenschaftler:innen ständig erweitert und verbessert. Es bestehen nun klare, einheitliche Richtlinien bezüglich Vorgabe, Kodierung und Interpretation der erhobenen Antworten.
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Comprehensive System – Revised
Im Sinne von John E. Exner, Jr. wird das CS weiterentwickelt und CSIRA (Comprehensive System International Rorschach Association) nahm 2022 die erste Revision vor. Diese Revision von John Exner, Anne Andronikof und Patrick Fontan stützt sich auf empirische Daten und klinische Erfahrungen: Meta-Analysen (Mihura et al., 2013), mehrere veröffentlichte Rorschach-Studien sowie intensives Brainstorming unter internationalen CS-Trainern. Die Hauptmerkmale des Comprehensive System wurden dabei nicht verändert. Die drei in Englisch verfassten Manuale liegen bereits in deutscher Übersetzung vor, die Veröffentlichung ist allerdings noch ausstehend.
Weiterführende Literatur finden Sie im → Literaturverzeichnis
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